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Erfahrungsbericht von Patrizia 1/2

Mein Wandermarathon in Berlin

Ich hatte das Ziel 100 km in 24 Stunden zu laufen. Die Entscheidung es zu versuchen war sehr spontan. Im Gegensatz dazu, war die Vorbereitung bis ins kleinste Detail geplant. Mir war sehr schnell klar, dass die kindliche Naivität und Freude über das bevorstehende Ereignis keineswegs ausreicht um am Ende auch ins Ziel zu kommen. Ich hatte ein Jahr Zeit mich darauf vorzubereiten und ich war nicht allein. Fünf weitere Frauen sollten mich begleiten.


Warum?

Diese Frage stellte ich mir selbst, vor dem 1. September 2018, der Tag des Starts in Berlin, nie. Nach dem Start allerdings umso öfter. Warum tut man sich das an? Es könnte das Alter sein. Fünfzig war ich zu diesem Zeitpunkt. Aber das erklärt nicht warum es die anderen Frauen mir gleichtaten. Eine war bereits älter als fünfzig, eine weitere im Alter meiner eigenen Tochter. Die anderen drei lagen dazwischen. Das konnte also nicht der Grund dafür sein. Läuferinnen waren wir alle. Wir trafen uns bisher regelmäßig in unterschiedlichen Konstell-ationen zum Joggen oder Walken. Wir kannten uns

also und waren bereits einige Jahre unterschiedlich sportlich aktiv. So hat wohl jede einzelne ihre eigenen Gründe gefunden. Spaß und Freude an der gemeinsamen Herausforderung war meine Antwort, auf die nun öfters auf mich zukommende Frage: „Warum macht ihr das?“ Einfach so, weil es Spaß macht. Gemeinsam etwas zu leisten, im Team etwas zu erreichen, sind die Gründe die viele von uns, auch im beruflichen Alltag, motivieren. Das positive Ergebnis einer Bemühung nennt man Erfolg. Nur bei dem, was wir besonders gern tun, sind wir besonders gut. Ich musste mir nichts beweisen, hatte keine lebensgefährliche Erkrankung überstanden und meine Ehe war bisher mehr als gelungen. Beruflich lief es sehr gut und die Kinder waren gesund. Es gab also keine Ereignisse, die eine solche Entscheidung begründeten. Es war die pure Lust aus Spaß an der Freude. Ob das am Ende reichen würde, um mich bis ans Ziel zu bringen, sollte sich noch zeigen.


Vorbereitung

Ohne Fleiß, kein Preis. Der Weg ist das Ziel. Und so weiter und so weiter. Schlaue Sprüche gab es viele, aber am Ende des Tages zählt nur was du für dein Ziel getan hast. Wie gut hast du dich auf die Herausforderung vorbereitet? Was du am Ende versäumt hast, kannst du nicht mehr nachholen. Am Ziel wird sich zeigen wie gut die Vorbereitung war. Ich hatte keine Ahnung wie man sich auf einen 100 km Wandermarathon vorbereitet.

Also musste ich mir Profis suchen. Zum einen natürlich meine Lauftrainerin Susanne Franz, zum anderen Fachleute, die sich mit Langdistanzen auskennen und Trainings-pläne ausgearbeitet haben. Im Internet gibt es man ja bekanntlich alles. Die Kunst ist nur die Qualität zu finden. Prof. Ingo Froböse ist Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Er gab ein Interview für die Homepage von Megamarsch. Das hat mich überzeugt und ich hielt mich sehr genau an seine Vorgaben. Sein absoluter Favorit: Rolltreppen und Aufzüge komplett vermeiden. Von da an also hieß es für mich nur noch Treppen gehen. Über ein ganzes Jahr wurden die Trainingsläufe terminiert. Wir haben bei der Planung alles berücksichtigt, damit möglichst kein Lauf ausfallen oder verschoben werden musste. Geburtstage der Läuferinnen, Feiertage, Veranstaltungen, Jahreszeiten, sowie Tageswanderungen und Nachtwanderungen wurden in den Trainingsplan aufgenommen. Wie gesagt - bis ins kleinste Detail. Es gab also keine Ausreden und wir konnten uns und unseren Körper mit allen Situationen vertraut machen.


Die überraschendste Erkenntnis war für mich, dass man für einen 100km Wandermarathon keineswegs Trainingsläufe von 100 km Strecke absolvieren muss. Gott sei Dank! Das wichtigste, war den Körper behutsam an die Belastung zu gewöhnen und parallel dazu bei jeder Wanderung die Ausrüstung zu testen bzw. zu optimieren. Auf das Wetter hatten wir keine Rücksicht genommen. Da ja niemand das Wetter in Berlin für ein Jahr im Voraus vorhersagen kann, mussten wir es nehmen wie es kommt. Vorweggenommen, das Wetter war perfekt und ließ, falls wir das Ziel nicht erreichen würden, keine Möglichkeit als Ausrede zu. Also absolvierten wir Trainingsläufe in regelmäßigen Abständen und unterschiedlichen Distanzen und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Für die Streckenführung wählten wir die nahe Umgebung und wanderten entweder im Rundkurs um Kaiserslautern herum oder wir fuhren mit der Lautertalbahn und wanderten dann zurück nach Kaiserslautern.


Unser längster Lauf war 50 km und mein längster Lauf ging über 11 Stunden. Es war unser erster gemeinsamer Lauf über eine Strecke von 24 km und ich hatte noch mit meinem Bandscheibenvorfall zu kämpfen. Während der 30-minütigen Zugfahrt blieb ich stehen, da ich immer noch nicht beschwerdefrei sitzen konnte. Die Trainingsgruppe hatte gleich zu Beginn ein hohes Tempo, sodass ich schon nach kurzer Zeit den Anschluss verlor. Ich blieb zurück und musste mein eigenes Tempo finden. Egal wie lang ich für die Strecke brauchte, es trainierte mich für Berlin. Denn dort galt es 24 Stunden auf den Beinen zu bleiben. Also machte ich mich auf den Weg. Es war ein ganz wunderbarer Karfreitag im März, mit perfektem Wetter. Über die gesamte Strecke hielt ich mein Tempo, besser gesagt: Kein Tempo. Ich hatte viel Zeit, mir über die nächsten Monate Gedanken zu machen. Käsebrot und Trinkblase haben sich schnell bewährt und mein neuer Rucksack passte hervorragend. Der Weg aus dem Lautertal nach Hause war mir vertraut. Was würde mich in der Hauptstadt erwarten? Die Strecke war bereits online und würde durch Parks, urbane Räume, Waldgebiete, Kulturlandschaften, Seen und Flüssen vorbei gehen. Sie folgt weitestgehend dem früheren Verlauf der Berliner Mauer um West-Berlin und hat eine Gesamtlänge von etwa 160 km. Eine Reihe von Geschichtszeugnissen am Weg erinnert an die Geschichte der Mauer. Ich erinnerte mich an meinen allerersten Berlinbesuch 1983. Ich würde jetzt, 35 Jahre später, Wege beschreiten, die damals nur unter Einsatz des Lebens möglich waren. Soweit wollte und würde ich auf keinen Fall gehen.


Während der Vorbereitung erklärte mir mein Mann, dass es wirklich egal wäre, wie weit ich es schaffe, ich würde auf jeden Fall weiter laufen wie jeder den er kannte. Abends um neun lief er mir an der Gartenschau entgegen und motivierte mich auf den letzten Metern. Völlig erschöpft und ausgepowert bin ich in der Badewanne fast eingeschlafen. Aber am nächsten Morgen wurde mir klar was ich geleistet hatte. Ich musste nur die doppelte Zeit und vierfache Strecke schaffen, dann war ich im Ziel. Es wäre also theoretisch möglich. Meinen Kopf hatte ich überzeugt, er war bereit. Die tatsächliche Aufgabe bestand darin meinen Körper darauf vorzubereiten.

Die darauffolgenden Wochen verbrachte ich damit meinen Rücken zu trainieren und meine Laufzeiten zu verbessern. Das Ziel war 5 km pro Stunde locker zu wandern. Drei Physiotherapeuten begleiteten mich in den nächsten fünf Monaten mit Faszienmassagen, Krankengymnastik und Gerätetraining. Der Bandscheibenvorfall war hartnäckig und ich war oft sehr ungeduldig. Mittlerweile hatte ich mir eine Countdown App auf mein Smartphone geladen, um auch die anderen in unserer WhatsApp Gruppe zusätzlich zu motivieren. Im Studio nutzte ich die Galileo und die Power Plate und zur Entspannung die Slimionik. Ganz wichtig war in dieser Zeit sicher auch das regelmäßige Yogatraining um die Beweglichkeit zu erhalten und um meinem Körper zu signalisieren: Ich kümmere mich um Dich und achte auf Dich. Frühere Teilnehmer dieser Langdistanzen berichteten auf Blogs im Internet darüber, dass am Ende nur der Wille zählt. Aha.


Begleitprogramm

Während des gemeinsamen Vorbereitungsjahres erkannten wir, welcher besonderen Heraus-forderung wir uns stellten. Unsere Partner und Kinder wussten ja von Anfang an, auf was wir uns eingelassen hatten. Aber die Verwandtschaft, unsere Nachbarn, die Arbeitskollegen überhaupt die Öffentlichkeit reagierte doch sehr erstaunt. Bewunderung und Respekt für unser großes Ziel brachte man uns entgegen. Aber auch viele ungläubige Blicke verbunden mit der Frage: Warum? Es sollte nicht lange dauern und die Zeitung bekam Wind davon. Für die Ausgabe am Freitag vor dem Start sollten wir ein Interview geben. Schnell war klar wir brauchen Fotos. Das gemeinsames Wandershirt habe ich gestaltet und organisiert. Petra Rödler übernahm das Fotoshooting und an einem Sonntagvormittag waren die Bilder im Kasten. Die Rheinpfalz konnte also berichten. Als der Artikel erschien, saßen wir schon im Flugzeug nach Berlin.


Im Laufe des Jahres entdeckten wir unsere Vorlieben für rucksacktaugliche Verpflegung. Käsebrot war ganz klar der Renner, Käsechips hingegen erfreuten nur mich. Und wir haben gelernt, dass man Trinkblasen oben verschließen muss, nachdem man sie befüllt hat. Eine Powerbank ist unerlässlich, aber ein zusätzliches Navigationsgerät völlig überflüssig. Für einen 100 km Marsch brauchst du eine gutsitzende Kopflampe. Blasenpflaster taugen nur in guter Qualität und tapen muss man sich vorher von einem Profi zeigen lassen. Meine Tochter Linda, als ausgebildete Ergotherapeutin schulte uns gemeinsam einen Abend lang und zeigte uns ganz praktisch was zu beachten war, welche Verletzungen man tapen kann und wie man auf keinen Fall tapen sollte. Während der Trainingsläufe konnten wir unser Wissen hierüber oft gut gebrauchen. Für den eigentlichen Lauf in Berlin waren keine Tapes mehr nötig.


Zum zweiten Teil des Blogbeitrags geht es hier: https://www.megamarsch.de/post/erfahrungsbericht-von-patrizia-2-2

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